Ich bin der ganzen Guttenberg Tweets langsam so was von überdrüssig und kann der Meinung von Linny in ihrem Blog, die mich eigentlich dazu inspiriert hat hier was zu schreiben, nur beipflichten. Wer ihren wunderbaren Artikel lesen will kann das unter diesem Link tun: Linnys Meinung

Mit persönlich war Guttenberg aus verschiedenen Gründen nie so wirklich sympathisch. Er wirkt zu glatt, seine Gestik, Mimik und Artikulation zu einstudiert. Wer seinen Hintergrund kennt weiß, dass er von Kindesbeinen an auf eine Position im öffentlichen Leben getrimmt worden war – von einer äußerst ehrgeizigen Familie. Er wurde von sich selbst, den Medien und den Menschen zum perfekten Politiker hochstilisiert, zum Beliebtesten, zum Superstar in einer Riege die eigentlich sonst eher mit Misstrauen beäugt wurde. Und was gefällt den Menschen besser als einen Superstar fallen zu sehen? Natürlich – selber mal drauftreten zu können wenn er am Boden liegt. Ich denke das ist leider ein Zug der im Menschen irgendwo drin ist und Deutschland hat ja sogar international ein wenig den Ruf die eigenen Superstars am dreckigsten zu behandeln wenn sie fallen. Zu Unrecht? Ich weiß es nicht. Dennoch werde ich im Folgenden mal versuchen meine Gedanken zu dem Thema zu verschriftlichen.

Es ist unbestritten: Guttenberg hat einen Fehler gemacht, einen Großen, einen der eine wissenschaftliche Karriere auf jeden Fall versenken würde. Dass dies nicht ohne Reaktion der Öffentlichkeit von der Bühne gehen wird war klar – sowohl ihm als auch uns. Mich stört nicht, dass es eine Reaktion gibt sondern die Art und Weise derselben. Was im Moment passiert hat jede Verhältnismäßigkeit verloren. Die ersten 10 Tweets zum Thema waren ja noch lustig, die folgende 100 gerade so erträglich aber die nächste 1000 sind einfach nur noch peinlich und zwar für die Verfasser. Ich habe Tweets gesehen in denen Guttenberg in einem Satz mit Hitler oder der NPD genannt wird – absolut geschmack- und niveaulos auf welchem Level sich die Diskussion mittlerweile befindet.  

Mir kommen die meisten Akteure in diesem Twitter-Drama ein wenig wie kleine Kinder vor, die einfach nicht wissen wann Schluss ist. Habt ihr das in der Schule auch schon erlebt? Jemandem passiert was Dummes und dann gibt es welche die den ganzen Tag nur noch darüber lachen, die nicht mehr aufhören zu sticheln und das Thema immer wieder heraufbeschwören, die sich daran klammern als wäre es irgendwie ein Rettungsboot in einem triste Ozean namens Alltag. Drumherum entwickelt sich eine Dynamik die sich bis zur Hysterie steigern kann und oft auch tut. Kindern kann man das nicht übel nehmen. Erwachsenen schon. Eigentlich hätte eine kleine zivilisatorische Grundregel schon längst einsickern müssen: Man tritt nicht noch nach wenn jemand ohnehin schon am Boden liegt. Man macht nicht noch einen Schritt auf jemanden zu der schon mit dem Rücken zur Wand steht. Und jetzt fangt bloß nicht wieder damit an „aber was er getan hat …“ – was er getan hat war eine ziemlich üble Sache, das ermächtigt trotzdem niemanden sich wie ein Neandertaler aufzuführen und keine Gruppe Mob Qualitäten zu entwickeln.

Ich bin Wissenschaftler, habe selbst mehrere akademische Abschlussarbeiten abgeliefert und bin deshalb natürlich ein wenig verärgert darüber, was Guttenberg geleistet hat. Das Ansehen aller Universitäten leidet darunter, wenn eine Person aus „gutem Hause“ ein Plagiat abliefern kann und auf Basis dessen einen Titel erlangt – im Großteil der Bevölkerung bestätigt dies nur wieder das Bild der privilegierten Oberschicht. Allerdings bin ich momentan auch in einer Position in der ich sehr viele Masterarbeiten und Dissertationen zu sehen bekomme und ich muss leider sagen – so gut wie alle wären angreifbar wen man wirklich wollte. Ich glaube die meisten die jetzt voller Häme Dreck auf diesen Mann werfen täten gut daran eher still zu sein und zu hoffen, dass niemand wirklich ernsthaft an deren Arbeiten geht. Böse Überraschungen könnten derer harren.

Der „Wissenschaftler“ Guttenberg ist karrieretechnisch sicher am Ende. Aber halt. Ist Guttenberg denn Wissenschaftler? Nein, er steckt mitten in einer politischen Karriere, unter Politikern von denen sicher nicht alle (wenn überhaupt einer) absolut sauber gearbeitet haben zu Unizeiten.  Als Politiker war er, zumindest nach allgemeinem Konsens bis vor zwei  Woche, sehr erfolgreich und beliebt. Sollte nicht eigentlich das im Vordergrund der Debatte stehen? Er will ja nicht an einer Uni lehren oder plötzlich in Fachjournals publizieren. Und natürlich höre ich wieder welche rufen: „Aber sein Charakter. Wer bei einer solchen Arbeit gefälscht hat kann auch sonst kein ehrlicher Mensch sein.“ Ach ja, wirklich? Dann bitte mal alle hinsetzen, die noch nie bei einer Schularbeit einen Spickzettel verwendet haben. Und jetzt alle die sich bei einer Prüfung noch nie einen wie auch immer gearteten Vorteil verschafft haben. Steht noch wer? Dachte ich mir. Hier geht es nicht um eine Charakterfrage, es geht darum wie viel Druck besteht. Wer unter großem Druck steht tut manchmal dumme Dinge. Die Uni ist ein ganz spezieller Ort, eine Art geschlossenes Ökosystem in dem nicht nur manchmal getan wird was notwendig ist um den Abschluss zu kriegen um endlich ins richtige Leben hinausgehen zu können. Ich weigere mich zu glauben, dass das meiste davon irgendetwas über die Charakterfestigkeit (scheußliches Wort, ich weiß) des Menschen aussagt. Ansonsten wären die meisten Studenten Wesen von höchster moralischer Fragwürdigkeit.   

Ich glaube nicht, dass es um die Arbeit geht (mal ehrlich, wer interessiert sich wirklich für die wissenschaftliche Qualifikation geschweige denn den Inhalt der Arbeit des Herrn Guttenberg), oder seinen moralischen Kompass (bisher schienen die Leute ja sehr zufrieden damit). Worum es meiner Meinung nach wirklich geht ist, dass einer, der vorher als überlebensgroß dargestellt wurde, plötzlich wieder auf Menschengröße zusammengeschrumpft ist. Einer der so unfehlbar schien ist gefallen. Und da kommt das Widerliche im Menschen heraus. Die Tendenz sich am Unglück des anderen zu weiden, ja regelrecht sich darin zu suhlen und jeden Moment auszukosten. Das spielt die unschöne Emotion Neid eine große Rolle – vorher war er unangreifbar, das macht Leute neidisch, jetzt ist er Freiwild und alle Dämme brechen. Leute die noch nie eine akademische Arbeit geschrieben habe werden plötzlich zu Experten was die Zitationsregeln betrifft, Leute die eine solche geschrieben haben und vielleicht selbst an ihre eigenen „Schummeleien“ erinnert werden springen aus den Büschen hervor und laden ihr schlechtes Gewissen auf den Mann ab. Es gibt Tierarten die ihr eigenes Alphatier zerreißen, wenn es Schwäche zeigt und in der Rangordnung absteigt. Kein schönes Bild im Spiegel, oder?

Zusammenfassend: Hat er einen Fehler gemacht? Ja. Ist eine Reaktion notwendig? Ja. Ist das Ganze noch verhältnismäßig? Ganz sicher nicht.

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