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Beständigkeit oder so

Mich macht es völlig irre, wenn die Dinge zu lange gleich bleiben. Egal ob das jetzt privat, beruflich oder bei irgendeinem Hobbie ist, irgendwann erwacht dieser kleine, selbstzerstörerische Zwerg in mir der nichts lieber tut als das Hier und Jetzt in Schutt und Asche zu legen um auf den Ruinen das Bühnenbild für die nächste Szene meines Lebens zu errichten. Komplett mit neuen Darstellern und Konflikten. Gut finde ich das eigentlich nicht. Und doch, es scheint unvermeidlich.

Das erinnert mich ein bißchen an dieses Lied von Electric President „Insomnia“: „I’m a headcase if I don’t keep moving / And my head hurts if I don’t sit still.” Ziemlich treffend wie ich finde. Ich dreh durch wenn ich mich nicht weiterbewege, wenn sich die Welt nicht dreht und alles irgendwie gleich bleibt aber genauso  bereiten mir die ständigen Veränderungen Kopfschmerzen und irgendwie hätte ich gerne sowas wie Stabilität, ein sicheres Umfeld in dem alles irgendwie gleich bleibt. Konserviert. Bekannt. Tröstlich. Ich bin sicher nicht der König der Widersprüche aber in der Thronfolgerordnung irgendwo vorne mit dabei.

Keine Ahnung, wie lange und wie oft ich mich schon mit diesem kleinen, destruktiven Zwerg in mir beschäftigt habe oder ob er immer schon da war. Als Kind war ich wohl anders. Aber wer ist das nicht? Hat das Leben den Zwerg geschaffen oder wäre er von selber erwacht? Man weiß es nicht. Ich weiß es nicht.

Was kann denn der kleine Kerl und warum ist er so penetrant? Immer dann, wenn alles gut zu laufen scheint, wenn alles geregelt ist und die Zukunft auf Schienen vor meinem inneren Auge erscheint erwacht dieses Monster. Es schlägt seine Augen auf, sieht sich um und denkt: „Na, das können wir doch besser.“ Es folgen Chaos, Tränen, massive Zerstörung und ein zwangsläufiger Neuanfang. Ein wenig wie die menschliche Kultur. Oder was glaubt ihr vorauf wir stehen? Auf den Skeletten alter Städte und deren Bewohner. Die Welt ist ein einziger Friedhof, über den man in unregelmäßigen Abständen Städte gebaut hat und wieder bauen wird.  Und so kommt mir meine Existenz vor. Ab und zu wage ich mich einem Archäologe gleich in die tiefen Sedimente, prüfe was da zu finden wäre und kehre mit meinen Funden zurück. Beweise von vorherigen Leben die längst im Nebel der Zeit verschwunden schienen. Man könnte den Rest des Lebens auf Zehenspitzen durch die Welt schleichen um das Monster nicht wecken. Lösung kann man das dann aber nicht nennen.

Manchmal sind es auch bestimmte Dinge oder Personen, vielleicht auch Verantwortung, die mich an einem festen Ort im Raum halten. Solange die gut sind, kann der Zwerg, das Monster schlafen. Aber nichts ist immer gut. Gar nichts. Nicht selten löst der Verlust, oder der vermeintliche Verlust dieser Anker das Erdbeben aus. Dann gibt es kein Zurück mehr. Sobald die Platten driften ist es passiert.

Momentan spüre ich wieder ein wenig dieses Kitzeln, ein Jucken in der Nase. Vielleicht auch ein Zucken in den Beinen. Immer häufiger schaue ich mich in meiner Welt um, frage mich, ob das schon alles gewesen sein kann. Es stellt sich ein Gefühl ein, eine Art von kaum fassbarem Wissen, dass alles was man hier tut, völlig bedeutungslos ist und es irgendwo grünere Wiesen geben muss. Und mit einem Mal ist jeder Grashalm gelblich ausgedörrt. Normalerweise sind das die ersten Zeichen, dass es Zeit für einen Umbruch wäre. Die Frage ist, ob sich das lohnt. Könnte man das Leben nicht besser nutzen? Statt alte Städte in Schutt und Asche zu legen das, was man schon hat, ausbauen? Kann man sich dagegen wehren oder ist dieser bösartige Zwerg der Zerstörung eine Naturgewalt? Frage mich gerade, ob ihr das auch kennt!

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Ich kann mich ja noch verdammt gut an das Jahr 1994 erinnern. Nicht nur weil es das Jahr war in dem wir Kurt Cobain verloren haben, sondern auch weil das so die Zeit war, in der ich meinen eigenen Geschmack und Weg zu entdecken begann. In dem Jahr fuhr ich mit meiner Mutter auf Urlaub nach Italien, um genau zu sein auf die Insel Ischia. Das einzige war mir einen Tag vor der Abreise noch fehlte war gute Musik. Damals kam die auf silbernen Scheiben und jede davon fasste nur ein Album. Ja, MP3 und iTunes waren zu der Zeit noch Zukunftsmusik.  In jenen Tagen kaufte ich manchmal ne CD einfach nur weil mir die Hülle gefiel oder weil sie in der Ablage „Musiktipps“ einsortiert war. Sowas gab es in dem Musikladen. Sind beide weg. Sowohl der Musikladen als auch die „Musiktipps“ Rubrik. Schade eigentlich, manchmal findet man wirklich Rohdiamanten wenn man nur mal vom altbekannten Weg abweicht. Auch musikalisch. Um es kurz zu machen – in diesem Laden fand ich bei den Tipps eine CD von einem gewissen Pete Droge mit dem Titel „Necktie Second“. Weder von dem Typen noch von der CD hatte ich vorher was gehört. Dennoch. Ich ging ein Risiko ein und kaufte mir das Teil. Was soll ich sagen? Pete lief dann praktisch täglich, den Urlaub durch und auch danach. Seit dem hol‘ ich das Album immer wieder mal raus (war eine der ersten CDs die auf den iPod übertragen wurde), höre es mir an und stelle zu meiner großen Verwunderung fest, dass mir immer noch jedes einzelne Lied gefällt und die Texte über die Jahre wenig an ihrer Bedeutung verloren habe. Obwohl es jetzt 17 Jahre her ist, dass ich das zum ersten Mal gehört habe.

Wie soll ich die Musik erklären? Was hat dieses Album Besonderes, das mich auch noch nach so vielen Jahren fast genauso anspricht wie damals? Zum einen mal ist es stark von der amerikanischen Folk-Bewegung der 60er und 70er inspiriert, mit eingängigen Gitarrenmelodien, ohne auffällige Spezialeffekte wie Verzerrungen und ähnliches. Zum anderen ist es aber auch sehr „grungig“ mit teils depressiven, teils realistisch-melancholischen Texten, ab und zu kommt sogar etwas Humor auf, auch wenn Pete weiß Gott kein Komiker ist. Ich denke das hat meine damalige Stimmung ziemlich gut wiedergespiegelt und sowas vergisst man nicht. Es war genau die richtige Musik zur richtigen Zeit. Definitiv prägend. Und dann ist da noch Petes Stimme. Sie klingt nicht so wie man es von Popstars erwartet, es ist eine knarzige Stimme die manchmal so klingt als würde sie gleich kippen, etwas rau und … ein gewisser Schmerz steckt da drin. Kurt Cobain konnte das sehr gut, Schmerz über seine Stimme vermitteln. Pete hat eine ähnliche Gabe auch wenn er im Gegensatz zu Kurt seine Agonie nie herausschreit, seine Melancholie ist mehr vergleichbar mit jemandem der mit gesenktem Kopf, tief in sich versunken, durch die Straßen schleicht. Sicher nicht Punk aber sehr viel verborgene Emotionalität. Das gefällt mir. Ich mochte Nirvana auch immer am liebsten wenn sie sich von ihrer verletzlichen Seite zeigten (Pennyroyal Tea, Something in the Way, All Apologies).

Leider hat man seit „Necktie Second“ nicht mehr viel von Pete Droge und seiner Band gehört. Da lag ich mit meiner Meinung, dass er einer der ganz Großen werden würde, ziemlich daneben. Aber nun ja, zumindest hat er der Welt diese großartige CD geben (und noch ein paar andere, an die man sich aber heute kaum mehr erinnert) und dafür werde ich ihn sicher nie vergessen.

Da ich gerade in der notwendigen Stimmung dafür bin, werde ich einfach mal die Tracklist von „Necktie Second“ durchgehen und ein bisschen was zu den Songs sagen – vielleicht bekommt ja der eine oder die andere von euch Lust sich das Album direkt zuzulegen. Würde mich freuen. Pete hätte es verdient.

Track 1: If you don’t love me (I‘ll kill myelf). Der Titel, so wie überhaupt das ganze Lied, ist ironisch gemeint. Es geht um einen Typen der eine Frau liebt und ohne sie nicht leben kann, er würde alles für sie tun, versucht sie zu überzeugen, in dem er sich Millionär ausgibt, gesteht dann aber, dass er eigentlich nichts als seine Liebe hat. Er erlaubt ihr sogar sich anderweitig umzusehen, wenn sie nur wieder zu ihm zurückkommt. Tja, Obsession halt. Einer von Petes (leider) wenigen großen Hits.

Track 2: „Northern Bound Train“. Hier geht es so richtig los – ein wirklich mächtiger Song mit einer schönen Melodie (klassisch mit Gitarre, wunderbar) und einem verdammt traurigen Text, der mir immer noch ne Gänsehaut bereitet.  Worum geht es? Die große Liebe besteigt einen Zug nach Norden, Du selbst bleibst zurück und fragst Dich was eigentlich passiert ist. Hat sie nicht gesagt sie wird für immer bleiben? Und warum sagt sie, dass es Liebe ist, wenn sie doch geht? Kommt euch das bekannt vor? Und am Ende der Gedanke: Träumen bis sie zurückkommt oder selber einen Zug nach Norden besteigen? Wenn das nicht ne fundamentale Frage ist!

Track 3: “Straylin Street”. Das Lied eines Mannes der innerlich zerrissen ist, immer auf der Suche nach irgendetwas, auf der Straße des Lebens, immer unterwegs von hier nach dort. Traurig. Treffend. Damit konnte ich mich in meiner Jugend gut identifizieren. Vielleicht ja immer noch …

Track 4: “Fourth of July”. Ein verdammt harter Song. Die Melodie ist Trauer pur. Pete singt über einen Freund der sich am 4. Juli (dem amerikanischen Unabhängigkeitstag) das Leben genommen hat. Der Schmerz jemanden verloren zu haben, die Erkenntnis, dass die Freundschaft nicht genug war um demjenigen die Kraft zum Leben zu geben …  spürt man alles. „On the fourth of July / See the sparks in the sky / When you’re sick of the trying / and you’re tired of the crying / Then the fourth of July / Is a good day to die / They’ll celebrate each year / Your independence from here…” – einfach nur hart.

Track 5: “Faith in You”. Kein schlechtes Lied, kann aber nicht mit den vorherigen drei mithalten. Die Melodie ist gut aber dem Text fehlt ein wenig der Biss. Pete singt davon, wie mit den Jahre, die man durchs Leben geht, alles irgendwie verschwommener, unklarer und unehrlicher wird. Nicht mein Favorit aber auch nicht so, dass man den Track überspringen müsste.

Track 6: “Two Steppin Monkey”. Dieses Lied ist einfach nur großartig. Pete singt von ganz normalen Menschen die banale, manchmal dumme Dinge tun, von denen sie glauben, dass sie sie weiter bringen im Leben. Aber alles was sie tun ist eine kleine Zirkusnummer von sich zu geben, wie kleine dressierte Äffchen. Die Banalität des Lebens, die Dummheit des Menschen der so viel Potential hätte und es doch nie richtig nutzt. Am Ende gehören wir doch wirklich alle in den Zoo.

Track 7: “Sunspot Stopwatch”. Ein teilweise herrlich böses Lied. Pete betrachtet treffend mit scharfer Zunge das Verhalten von Menschen, wie sie sich als etwas anderes ausgeben als sie sind, stolz daher marschieren, sich darstellen nur um am Ende allzu oft auf den Hintern zu fallen. Tja, wer glaubt, den Teufel in die Flucht geschlagen zu haben, stellt nicht selten fest, dass dieser zurückkommt um denjenigen so richtig in den Hintern zu beißen.

Track 8: “Hardest Thing to do”. Dieser Song erwischt mich immer wieder. Eigentlich ist es ganz einfach – es geht um Vertrauen – das Vertrauen in andere Menschen und wie verdammt schwer es ist dieses zuzulassen. „It’s the hardest thing to do“ – da hat er recht, der Pete. Und gleichzeitig müssen wir lernen zu vertrauen, wenn wir lieben wollen.

Track 9: “So I am over you”. Ein ewiger Favorit meiner Wenigkeit. Jetzt mal ehrlich – Du wurdest verlassen, bist am Ende, kaust am Teppich und betrinkst dich in der Kneipe um die Ecke nur damit der Schmerz aufhört. Aber gleichzeitig schreist du ein trotziges „Ich bin über dich hinweg“ ins Universum. So ist das Leben. So ist dieses Lied.

Tack 10: “Dog on a Chain”. Ein bisschen stereotyp aber durch die großartige emotionale Darbietung absolut hörenswert. Ein junger Mann lernt auf die harte Tour wie Liebe dich runterziehen und festketten kann. War wohl zwischen 16 und 20 mein absolutes Lieblingslied.

Track 11: “Hampton Inn Room”. Dieses Lied ist der perfekte Abschluss für ein großartiges Album. Ein Anruf bei der Freundin aus einem Hotelzimmer, sich gegenseitig die Liebe erklären trotz der großen Entfernung. Eigentlich muss man gar nicht mehr sagen, dass man sich gegenseitig vermisst, lieb hat und an den anderen denkt, ist ja klar – aber man tut es trotzdem, einfach weil es sich gut anfühlt. Jeder der schon mal in einer Fernbeziehung war wird verstehen. Nur Pete und seine Gitarre. Sehr intim. Wunderschön.

Momentan ist es hier ja ein bisschen ruhig. Liegt nicht daran, dass ich mein Interesse am Schreiben verloren hätte, ganz im Gegenteil sogar: Dieser Tage bin ich an mehreren ernsthaften Projekten dran, die hoffentlich in Veröffentlichungen gipfeln werden, daher die Ruhe (der Sturm kommt noch, wenn alles gut geht).  Dennoch fühle ich mich heute inspiriert genug was für den Blog zu schreiben und zwar ein Motten-Requiem. Wie ich darauf gekommen bin? Zum einen durch ein Gespräch mit einer guten Bekannten, wie meistens eigentlich. Zum anderen aber auch, weil ich eigentlich alle Tiere mag. Nun, nicht jedes aus der Nähe, wäre auch verrückt und lebensgefährlich aber im Grunde habe ich noch kein Tier entdeckt für das ich nicht eine gewisse Art von Mitgefühl empfunden hätte. Selbst für Zecken. Wie gesagt – nicht alle aus der Nähe 😉

 

Hier ist es also, das Requiem für eine Motte:

Ich habe es kaum gekannt, das kleine Tier mit den grau-braun gemusterten Flügeln, die aussehen als wären sie mit farbigem Pulver begossen worden. Schön sind sie, diese Flügel, irgendwie. Jeweils ein Streifen und ein Kreis, so als hätte ein Künstler sie entworfen und nicht pure natürliche Selektion. Jeden Abend, wenn ich am Fernseher saß, kam es vorbeigeflogen, warf große, bedrohliche Schatten an die Wand. Bei einem Menschen hätte man wohl von einem grandiosen Auftritt gesprochen. Meistens landete es dann auf dem hellen Schirm und genoss vielleicht die Strahlung oder was auch immer diese neuen LCD-Fernseher von sich geben. Kann auch nur das Licht gewesen sein, das es angezogen hat. Ich sage „Es“ weil ich nicht mal weiß ob die Motte ein Männchen oder ein Weibchen war. So ein Gastgeber war ich.

Im Flug kam es mir immer so riesig vor, ein dunkles Knäuel aus flatternden Flügeln, die so schnell schlugen, dass alle Konturen verwischten. Jetzt schlagen sie nicht mehr. Nie wieder. Es ist tot, liegt auf meiner Fensterbank. Komisch, sich vorzustellen, dass dieses kleine Insekt, der Begleiter, an den ich mich gewöhnt hatte, nicht mehr aufsteigen wird, zum Licht, zum Fernseher, zur weißen Wand. Wo geht das Leben hin? Der kleine Körper hat einfach aufgehört damit, von gerade auf jetzt.

Ich frage mich ob Du, kleines Insekt, ein gutes Leben hattest. Immer genug zu Essen und trinken, Luft zum Atmen, vielleicht auch einen Partner.  Ich bin ein Mensch und weiß daher wenig über das Gefühlsleben von Tierchen wie Dir, werde es auch nie verstehen können aber ich nehme mal an, wenn es weh tut dann tut es weh, egal ob man einen großen Neokortex hat wie ich oder nicht, ist wahrscheinlich dasselbe. Wenn ein Bedürfnis befriedigt wurde wird sich das auch für dich irgendwie gut angefühlt haben. Selbst ein wirklich einfaches Lebewesen wie das Pantoffeltierchen vermeidet unangenehme Zustände und strudelt auf angenehme zu.  So ist das mit dem Leben.

Es ist wahr, Du und ich, wir haben unterschiedliche Wege auf dem Baum der Entwicklung genommen, Vorfahren von denen wir nie erfahren werden haben uns zu dem gemacht was wir sind – unterschiedlich. Und doch, irgendwie kommen wir vom selben Ort  und wenn ich Dich jetzt so betrachte, leblos auf der Fensterbank, dann begreife ich auch, dass wir an denselben Ort gehen. Was machen da schon die paar Jahre in denen wir wirklich verschieden sind? Im Grund sind wir Brüder. Irgendwie.

Darum verabschiede ich mich jetzt von Dir und hoffe Dir hat im Leben nicht allzu viel weh getan und die angenehmen Zustände überwogen.

Das Leben an sich ist eine ziemlich unausgewogene Sache wenn ihr mich fragt. Also nicht nur innerhalb eines einzigen Lebens sondern auch wenn man verschiedene Leben miteinander vergleich. Ist jetzt nicht esoterisch gemeint aber wenn man mal schaut wie es dem einen im Vergleich zum anderen geht stellt man schon fest, dass da Welten dazwischen liegen. Wie ich da jetzt drauf gekommen bin? Wie immer natürlich durch mein Umfeld. Ich beobachte die Menschen, mache mir Gedanken. Manchmal ist das ganz witzig aber sehr oft ärgert es mich auch irgendwie und ich werde in meiner Überzeugung, dass es keine höhere Macht gibt die da am Steuer sitzt, aufs Neue bestärkt.

Ich selbst hatte es ja immer ziemlich leicht. Also relativ. Natürlich waren da immer mal wieder Katastrophen und für mich schien jede einzelne davon unüberwindlich, weltbewegend und einer griechischen Tragödie würdig. Einfach weil ich, als wahrnehmender Mittelpunkt meiner Welt, automatisch immer das Maximum des Vorstellbaren erlebe. Aber wenn man ganz angestrengt versucht objektiv zu sein wird schnell klar, dass mein Umfeld meistens gut behütet und irgendwie sicher war. Wenn ich so unreflektiert mein Leben betrachte kommt nicht ganz ohne Stolz das Gefühl in mir auf ziemlich unverwüstlich zu sein, stark und abgebrüht weil ich bisher alles irgendwie gemeistert habe. Ist natürlich völliger Blödsinn. Das ärgert mich auch an so vielen anderen denen es gut geht und die über ihre kleinen (subjektiv natürlich riesigen) Probleme klagen und sich Gleichzeit für John McClane halten der gerade mal wieder die Welt gerettet hat (Off-Topic: Wollen die mal wieder was Neues machen? Es gibt definitiv zu wenige Männer die in verbluteten weißen Unterhemden die Welt retten).

Ich habe so das Gefühl, dass die Ausgeprägt des Gefühls von Stärke und Coolness sich umgekehrt proportional zur tatsächlichen Problembeladenheit des Lebens verhält. Schöner Satz, nicht? Aber was meine ich damit?

Ich kenne eine ganze Menge Leute die sich wirklich für verdammt stark und hart im nehmen halten, die sich ständig damit brüsten was sie nicht schon alles durchgestanden hätten wie sie jedem Orkan der Existenz trotzten. Dann schaut man mal hin und sieht nur Trivialitäten. Die wurden nie wirklich vom Leben herausgefordert oder getestet. Die haben nur dieselben kleinen Nichtigkeiten wie wir alle erlebt und sind da mehr oder weniger unbeschadet rausgekommen. Nichts weswegen man auch nur eine Postkarte nach Hause schreiben würde.

Und dann sind da diese anderen Menschen. Die sind meistens sehr viel ruhiger und wenn man sie fragt würden die sich eher als schwach, als Versager und Feiglinge bezeichnen, meistens wollen sie über ihre Probleme gar nicht so reden weil sie Angst haben ihre Umwelt damit zu belasten. Aber wenn man deren Leben mal anschaut dann blickt man nicht selten direkt in die Hölle, in Umstände unter denen ich längst aufgegeben hätte, zerbrochen wäre. Die mussten mehr als einmal ertragen, dass ihre ganze Welt zu Staub zermahlen wurde und trotzdem sind sie noch da, finden irgendwie die Kraft weiterzumachen. Nicht selten müssen sie in einer unerträglichen Zwickmühle existieren und wissen weder ein noch aus. Diese Menschen hat das Leben wirklich geprüft, die stehen mitten im Orkan und müssen weitergehen weil es einfach keine andere Möglichkeit gibt. Und warum fühlen sie sich schwach und feige? Weil man es ihnen nicht selten sagt. Jene die im Flachwasser des Lebens gemütlich auf ihren Luftmatratzen paddeln erklären schulmeisterlich, dass man sich nicht so anstellen soll, dass alles wieder besser wird. Sicher, viele wissen gar nicht um die Schwierigkeiten in denen ihre Mitmenschen stecken – trotzdem ist es eine Tragödie denn eigentlich müssten man vor diesen vermeintlich Schwachen den Hut ziehen und ihnen ehrlich mal den Respekt zollen den sie verdienen. Es ist verdammt leicht cool, stoisch und ein zäher Hund zu sein wenn das Leben einem nur Steinchen in den Weg legt. Ganz anders sieht es aus wenn einfach alles um dich herum zerbricht – finanziell, familiär, beruflich, gesundheitlich. Wem es unter den Umständen nicht mehr gut geht der ist weder feige noch schwach sondern einfach nur menschlich, weitermachen ist da verdammt mutig und hat meinen vollsten Respekt. Aufgeben ist immer eine Option und manche tun das auch. Interessant ist, dass jene, die nicht aufgeben, dies gar nie als Option sehen, sie machen weiter „weil man das muss und das jeder tun würde“. Stimmt nicht. Müssen tut man gar nichts und bei weitem nicht jeder kämpft. Wer die Kraft aufbringt sich gegen die Widrigkeiten zu stellen tut das aus eigenem Antrieb, es ist seine oder ihre eigene Leistung – sollte man auf keinen Fall runter spielen.

Oft trauen sich diese Menschen dann auch nicht mehr sich anderen anzuvertrauen weil sie zu oft erlebt haben, dass man sie negativ abgestempelt hat, oder ihnen wurde seit frühester Kindheit erzählt, dass man sowas ertragen muss weil ja alle irgendwelche Probleme haben und niemand damit belastet werden soll. Blödsinn sage ich. Jeder braucht mal eine helfende Hand, vor allem in schwierigen Zeiten. Es sollte nicht sein, dass gerade jene, die einen Flügelmann oder eine Flügelfrau am dringendsten brauchen, sich nicht trauen so jemanden zu suchen weil das gesellschaftlich gerade nicht in Mode ist.

In meiner Umgebung gibt es solche mutigen, starken Menschen die sich aber niemals selber als solche bezeichnen würden. Ich wünschte ich könnten ihnen zeigen wie ich sie sehe, ihnen klar machen was für große Taten sie schon vollbracht haben nur um an diesen Punkt zu gelangen. Ich denke mir, wenn die nur wüssten wie stark sie sind könnten sie im Leben alles erreiche, inklusive sich an den eigenen Haaren aus den Schwierigkeiten herausziehen. Das ist natürlich die Sicht eines Menschen der nie in diesem Sumpf gesteckt hat. Hab ja leicht reden, ich. Viel kann ich nicht tun. Aber da sein für, die es wollen, das zumindest kann ich.

Achtet mal selber auf eure Umwelt und betrachtet die Leute genauer. Schaut hin wenn sich jemand als besonders zäh bezeichnet wie dessen leben aussieht und ausgesehen hat. Werdet besonders hellhörig bei den Leisen, jene die man für den ersten Blick für schwach halten würde. Da warten einige Überraschungen.

Ich mag abstrakte Themen, sie verleiten dazu die Gedanken einfach schweifen und wachsen zu lassen. Wenn ich so schreibe bin ich nicht mehr gebunden an eine starre Struktur, die logische Kette von Argumentationen die Sachthemen in der Regel verlangen. Mein schreibendes Ich wandert dann ein bisschen weg aus dem Kopf in den Bauch hinunter wo die Gefühle zwar intensiver aber auch dunkler werden. Da muss ich jetzt hin um mich mit einer ganz bestimmten Frage zu beschäftigen.

In letzter Zeit habe ich mir mehrfach die Frage gestellt ob Liebe eine Form von Abhängigkeit ist. Klar, ihr werdet jetzt mit den Augen rollen und euch fragen warum schon wieder jemand über ein so altes und abgedroschenes Thema wie die Liebe schreibt. Ist dazu nicht schon alles gesagt? Wahrscheinlich schon aber das Leben ist eine komische Sache – jeder muss es für sich selber entdecken und neu aufrollen, Erkenntnis muss von jedem einzelnen Menschen selber gemacht werden. Weder Eltern noch Ratgeber können die eigene Lebenserfahrung ersetzen. Und deshalb schreibe ich darüber, weil ich mir selbst über das eine oder andere klar werden möchte.

Also. Liebe. Wenn ich verliebt bin oder gar jemanden liebe, dann will ich jede Minute mit dieser Person zusammen sein, ich will wissen was sie denkt, was sie fühlt. Ich will ihr helfen wenn es ihr schlecht geht und an ihrer Seite stehen wenn sie einen Kampf auszufechten hat. Wenn ich wirklich liebe, dann ist das beinahe bedingungslos. Damit gebe ich diese Person eine ziemliche Macht über mein Leben und mein Herz. Wenn man liebt, kann ein Wort des geliebten Menschen die Welt erschaffen aber genauso gut kann ein anderes Wort diese Welt zu Staub zerfallen lassen, einfach so. Dann brennt der Himmel und das Meer kocht.  In guten Zeiten hat man das Gefühl unverwundbar zu sein, dass man mit allem fertig wird was einem das Leben entgegenwerfen mag. Aber in den schlechten Zeiten frisst sich die unfassbare Erkenntnis in dich hinein, dass, egal was passieren wird, nichts mehr je wieder richtig gut sein kann.

Ist das nicht sowas wie eine Abhängigkeit? Also von der Grundbedeutung des Wortes aus gesehen? Nicht nur im moderneren Sinn von „ich braucht es, ich will es, ich kann ohne es nicht leben“ sondern vielmehr im Sinne von: Wenn dort etwas passiert dann macht das etwas mit mir weil ich da dran hänge, Teil davon bin. Das passt doch ziemlich gut, oder? Teile eines Ganzen hängen aneinander, man kann nicht mit dem einen Teil etwas tun ohne, dass mit dem anderen Teil auch etwas passieren würde. Und ist es nicht so, dass man Teil von etwas Neumen, Größeren wird wenn man liebt? Größer meine ich jetzt in keinem Fall wertend sondern vielmehr im Sinne von: Da ist jetzt etwas dazugekommen was vorher nicht da war.

In dieser Konstellation glaube ich schon, dass Liebe zu Abhängigkeit führt. Man ist nicht mehr so selbstständig wie vorher, zumindest wenn man wirklich tief und wahrhaft liebt. Es gibt auch diese andere Art von Liebe die mehr ein Verlangen darstellt. In diesem Punkt möchte ich schon eine klare Unterscheidung treffen. Bloßes Verlangen kennt viele Ziele, kann auf verschiedene Arten befriedigt werden, denn Verlangen, so brennend und schneidend es sein kann, ist im Grunde doch dumpf und drängt nur auf eine Befriedigung hin. Liebe, oh die Liebe, sie ist scharf wie ein Skalpell und kennt ihr Ziel sehr genau. Wer liebt der liebt eine bestimmte Person. Liebe erzeugt Verlangen aber nie nur um des Verlangens willen. Reines Verlangen macht dich zu einem Gefangenen deiner selbst, deiner Gelüste und Triebe die dich über die Meere wehen während die Liebe dich in gewisser Weise zu einem Gefangenen eines Gegenübers macht. Wenn ich also liebe mache ich mich irgendwie abhängig.

Die Frage ist ob das gut sein kann. Wenn mich die Liebe abhängig macht dann verliere ich einen Teil meiner Freiheit. Zeit die ich vorher mit der Betrachtung meiner Welt, mir und meines Bauchnabels verbracht habe fließt plötzlich in andere Kanäle. Ich ertappe mich dabei wie ich lieber an diese Person denke als etwas zu tun was nur mit mir und meinen Zielen zu tun hat. Das muss nicht schlecht sein. Im Gegenteil – oft ist es sogar schön sich ausmalen wie es der geliebten Person geht, was sie tut und in diesem Moment gerade empfindet. Aber gleichzeitig habe ich auch etwas zu verlieren. Wir erinnern uns – wer liebt der wird Teil von etwas Größerem und die meisten Leute die ich kenne mögen dieses Gefühl. Plötzlich ist da etwas was man nicht mehr missen möchte. Wir Menschen sind aber mit der Fähigkeit gesegnet/gestraft in die Zukunft blicken zu können, wir wissen um die Endlichkeit, den Verlust und die Entropie in diesem Universum. Alles was wir haben werden wir auch wieder verlieren. Das ist eine Tatsache. Unsere Jugend, die Gesundheit, die Freunde, unsere Eltern, alle Besitztümer – auch die Liebe. Wer liebt leidet also auch unter Verlustängsten. Ist das wahr? Ich schon. Manchmal.

Wer aber Angst hat zu verlieren beginnt sich oft an die Dinge zu klammern die er hat. Das ist eine dunkle Facette der Abhängigkeit. Nicht nur dieses Gefühl von „Wir sind eins, was dir passiert geschieht auch mir“ sondern auch die Angst zu verlieren was man geworden ist. Und das ist unbestreitbar Teil dieses großen Abenteuers „Liebe“. Vier von fünf Filmen handeln davon. Damit weckt man düstere Geister wie Besitzgier (ich will sie nur für mich), Eifersucht (kein anderer darf sie auch nur anschauen) und Wahn (was wäre wenn …). Man sieht sie doch überall, immer wieder, diese armen Seelen die sich in der Steilwand der Liebe verstiegen haben und weder vor noch zurück können, einfach nur gefangen. Die dunkle Seite der Abhängigkeit ist es auch, welche die Liebe nur allzu oft zerstört. Wie Lennie in „Von Mäusen und Menschen“, eigentlich viel zu stark für das bisschen Hirn dahinter. Das geliebte Objekt wird zwischen Fingern zerquetscht die eigentlich nur streicheln wollten.

Für mich ist das eine Art Erkenntnis um die ich mich schon sehr lange drehe. Liebe erfüllt viele Bedingungen von Abhängigkeit. Die gegenseitige Beeinflussung, die Angst vor dem Verlust, die emotionale Gebundenheit. Aber was soll man da machen? Aufhören zu lieben? Abgesehen davon, dass das gar nicht geht will ich dieses Gefühl irgendwie nicht aus meinen Leben verbannen. Es ist schön. Was wäre der Ausweg?

Vielleicht die absolute, bedingungslose Liebe die nichts fordert, die einfach nur da ist und gibt. Aber es gibt wohl nur wenige Menschen die so lieben können, die einfach nur glücklich sind und nicht festhalten wollen weil sie nicht nur im Kopf sondern auch im Herzen verstanden haben, dass man nichts festhalten kann ohne ihm nicht auch in gewisser Weise weh zu tun. Kann man einen anderen Menschen überhaupt auf diese Art lieben oder muss es immer Abhängigkeit sein? Diese Liebe würde die Abhängigkeit überwinden ohne in Gleichgültigkeit überzugehen. Es ist jene Form die Freiheit schafft und nicht erdrückt – für beide Seiten.

Vielleicht kann man das ja üben in dem man andere einfach so annimmt wie sie sind, inklusiver der Person(en) die man wirklich und wahrhaftig liebt. Man muss deren Freiheit und deren Glück akzeptieren. Und vielleicht sogar die bittere Erkenntnis schlucken, dass die Menschen die man so sehr liebt auch mit jemand anderem glücklich sein können. Das öffnet die Türe für neue Einsichten über die Abhängigkeit.

Antworten habe ich jetzt zwar immer noch keine aber dafür viele neue Fragen.

Twitter ist eine komische Welt. Man trifft all diese fantastischen Menschen mit denen man sich sofort super versteht und die dasselbe zu denken scheinen wie man selbst. Unglaublich viel Zeit wird mit zusammen verbracht, manchmal ganze Nächte und man kann sich nicht vorstellen, dass das irgendwann aufhört. Dann trifft man noch mehr Menschen, gerät in neue Gespräche, neue Kreise tun sich auf. Und plötzlich wird etwas anders. Man hört von den Freunden der ersten Stunde nicht mehr so viel, die gemeinsamen Nächte werden weniger und plötzlich sind sie weg. Zuerst fällt man aus den Listen, dann das unvermeidliche „unfollow“. Das ist ein Moment in dem man innehält und sich überlegt was passiert ist. Man schaut auf deren Kanälen nach. Prüft die eigenen Tweets. Es macht irgendwie keinen Sinn. Wie kann das so schnell passieren – von Fremden zu Freunden und zurück zu Fremden?

Twitter ist manchmal ein wenig wie Leben im Zeitraffer. Das Internet macht es möglich. Man lebt unglaublich schnell und intensiv, sagt Dinge die man sich im echten Leben sie sagen traut, trifft Menschen die man sonst nie kennengelernt hätte. Aber das geht jedem so, alle in Twitter leben schnell, nicht nur ich oder du. Man trifft ehe man sich versieht schon wieder jemanden der das Potential hätte der beste Freund oder die beste Freundin zu werden. Und genauso wie im echten Leben können Freundschaften auf wieder auseinanderfallen wie Sandburgen wenn die ersten Wellen sie umspielen. Nur schneller. Viel schneller.

Natürlich muss das nicht jeder Twitterbekanntschaft so gehen, manche sind vielleicht wirklich für die Ewigkeit. Aber mal Hand aufs Herz, wer hat nicht schon Leute in Twitter verloren die ihm oder ihr unglaublich wichtig waren?

Mich macht das immer nachdenklich und auch traurig, vor allem wenn es Leute sind deren Tweets man immer noch gerne liest und von denen man möchte, dass sie auch die eigenen Tweets noch lesen … was sie ja nach dem Entfolgen nicht mehr tun. Ein kleines Stück von mir selbst treibt dann auch immer weg denn die wunderbaren Momente waren echt, keine Illusion, nicht eingebildet. Was auch immer manche Sozialpsychologen sagen, man kann wirkliche Freundschaftsbande knüpfen in diesen Portalen.

Vor kurzem ist mir wieder jemand entfolgt der mir mal sehr wichtig war, ein Follower der ersten Stunde sozusagen. Hätte man mir vor zwei Monaten gesagt, dass diese Person mal nicht mehr Bestandteil meines Lebens sein würde hätte ich nur gelacht. Heute weiß ich es besser.

Aber genug des Jammerns. Was kann man tun? Die einfachste Lösung wäre auch zu entfolgen, ein kurzer, scharfer Schnitt und weg mit der Vergangenheit. Halte ich aber für keine gute Lösung. Sicher, im ersten Moment ist der Druck auf den entsprechenden Knopf verlockend, „Auge um Auge“ sozusagen. Aber das ist doch wirklich etwas primitiv. Auch wenn das jetzt komisch klingt gebe ich offen zu, dass ich noch nie jemandem entfolgt bin mit dem ich schon ein Gespräch in Twitter geführt habe, auch nicht wenn diese Person mir irgendwann entfolgt sein sollte. Natürlich lese ich die Tweets nicht mehr so aufmerksam aber es hatte mal einen Grund, dass ich dem Kanal beigetreten bin und bisher gab es nie einen schwerwiegenderen Grund der die Rückgängigmachung dieses Schrittes erfordert hätte. Im Gegenteil, ich lese gerne was die Leute schreiben, auch jene die meine Tweets nicht mehr so gut finden wie früher vielleicht.

Deshalb möchte ich an diesem Freitag ein Glas für all jene verlorenen Freunde erheben mit denen ich in Twitter so manche schöne Stunde verbracht habe. In meiner TL ist immer Platz für euch und in meinem Herzen sowieso. Vielleicht sieht man sich ja eines schönen Follower-Fridays wieder.

Ich bin der ganzen Guttenberg Tweets langsam so was von überdrüssig und kann der Meinung von Linny in ihrem Blog, die mich eigentlich dazu inspiriert hat hier was zu schreiben, nur beipflichten. Wer ihren wunderbaren Artikel lesen will kann das unter diesem Link tun: Linnys Meinung

Mit persönlich war Guttenberg aus verschiedenen Gründen nie so wirklich sympathisch. Er wirkt zu glatt, seine Gestik, Mimik und Artikulation zu einstudiert. Wer seinen Hintergrund kennt weiß, dass er von Kindesbeinen an auf eine Position im öffentlichen Leben getrimmt worden war – von einer äußerst ehrgeizigen Familie. Er wurde von sich selbst, den Medien und den Menschen zum perfekten Politiker hochstilisiert, zum Beliebtesten, zum Superstar in einer Riege die eigentlich sonst eher mit Misstrauen beäugt wurde. Und was gefällt den Menschen besser als einen Superstar fallen zu sehen? Natürlich – selber mal drauftreten zu können wenn er am Boden liegt. Ich denke das ist leider ein Zug der im Menschen irgendwo drin ist und Deutschland hat ja sogar international ein wenig den Ruf die eigenen Superstars am dreckigsten zu behandeln wenn sie fallen. Zu Unrecht? Ich weiß es nicht. Dennoch werde ich im Folgenden mal versuchen meine Gedanken zu dem Thema zu verschriftlichen.

Es ist unbestritten: Guttenberg hat einen Fehler gemacht, einen Großen, einen der eine wissenschaftliche Karriere auf jeden Fall versenken würde. Dass dies nicht ohne Reaktion der Öffentlichkeit von der Bühne gehen wird war klar – sowohl ihm als auch uns. Mich stört nicht, dass es eine Reaktion gibt sondern die Art und Weise derselben. Was im Moment passiert hat jede Verhältnismäßigkeit verloren. Die ersten 10 Tweets zum Thema waren ja noch lustig, die folgende 100 gerade so erträglich aber die nächste 1000 sind einfach nur noch peinlich und zwar für die Verfasser. Ich habe Tweets gesehen in denen Guttenberg in einem Satz mit Hitler oder der NPD genannt wird – absolut geschmack- und niveaulos auf welchem Level sich die Diskussion mittlerweile befindet.  

Mir kommen die meisten Akteure in diesem Twitter-Drama ein wenig wie kleine Kinder vor, die einfach nicht wissen wann Schluss ist. Habt ihr das in der Schule auch schon erlebt? Jemandem passiert was Dummes und dann gibt es welche die den ganzen Tag nur noch darüber lachen, die nicht mehr aufhören zu sticheln und das Thema immer wieder heraufbeschwören, die sich daran klammern als wäre es irgendwie ein Rettungsboot in einem triste Ozean namens Alltag. Drumherum entwickelt sich eine Dynamik die sich bis zur Hysterie steigern kann und oft auch tut. Kindern kann man das nicht übel nehmen. Erwachsenen schon. Eigentlich hätte eine kleine zivilisatorische Grundregel schon längst einsickern müssen: Man tritt nicht noch nach wenn jemand ohnehin schon am Boden liegt. Man macht nicht noch einen Schritt auf jemanden zu der schon mit dem Rücken zur Wand steht. Und jetzt fangt bloß nicht wieder damit an „aber was er getan hat …“ – was er getan hat war eine ziemlich üble Sache, das ermächtigt trotzdem niemanden sich wie ein Neandertaler aufzuführen und keine Gruppe Mob Qualitäten zu entwickeln.

Ich bin Wissenschaftler, habe selbst mehrere akademische Abschlussarbeiten abgeliefert und bin deshalb natürlich ein wenig verärgert darüber, was Guttenberg geleistet hat. Das Ansehen aller Universitäten leidet darunter, wenn eine Person aus „gutem Hause“ ein Plagiat abliefern kann und auf Basis dessen einen Titel erlangt – im Großteil der Bevölkerung bestätigt dies nur wieder das Bild der privilegierten Oberschicht. Allerdings bin ich momentan auch in einer Position in der ich sehr viele Masterarbeiten und Dissertationen zu sehen bekomme und ich muss leider sagen – so gut wie alle wären angreifbar wen man wirklich wollte. Ich glaube die meisten die jetzt voller Häme Dreck auf diesen Mann werfen täten gut daran eher still zu sein und zu hoffen, dass niemand wirklich ernsthaft an deren Arbeiten geht. Böse Überraschungen könnten derer harren.

Der „Wissenschaftler“ Guttenberg ist karrieretechnisch sicher am Ende. Aber halt. Ist Guttenberg denn Wissenschaftler? Nein, er steckt mitten in einer politischen Karriere, unter Politikern von denen sicher nicht alle (wenn überhaupt einer) absolut sauber gearbeitet haben zu Unizeiten.  Als Politiker war er, zumindest nach allgemeinem Konsens bis vor zwei  Woche, sehr erfolgreich und beliebt. Sollte nicht eigentlich das im Vordergrund der Debatte stehen? Er will ja nicht an einer Uni lehren oder plötzlich in Fachjournals publizieren. Und natürlich höre ich wieder welche rufen: „Aber sein Charakter. Wer bei einer solchen Arbeit gefälscht hat kann auch sonst kein ehrlicher Mensch sein.“ Ach ja, wirklich? Dann bitte mal alle hinsetzen, die noch nie bei einer Schularbeit einen Spickzettel verwendet haben. Und jetzt alle die sich bei einer Prüfung noch nie einen wie auch immer gearteten Vorteil verschafft haben. Steht noch wer? Dachte ich mir. Hier geht es nicht um eine Charakterfrage, es geht darum wie viel Druck besteht. Wer unter großem Druck steht tut manchmal dumme Dinge. Die Uni ist ein ganz spezieller Ort, eine Art geschlossenes Ökosystem in dem nicht nur manchmal getan wird was notwendig ist um den Abschluss zu kriegen um endlich ins richtige Leben hinausgehen zu können. Ich weigere mich zu glauben, dass das meiste davon irgendetwas über die Charakterfestigkeit (scheußliches Wort, ich weiß) des Menschen aussagt. Ansonsten wären die meisten Studenten Wesen von höchster moralischer Fragwürdigkeit.   

Ich glaube nicht, dass es um die Arbeit geht (mal ehrlich, wer interessiert sich wirklich für die wissenschaftliche Qualifikation geschweige denn den Inhalt der Arbeit des Herrn Guttenberg), oder seinen moralischen Kompass (bisher schienen die Leute ja sehr zufrieden damit). Worum es meiner Meinung nach wirklich geht ist, dass einer, der vorher als überlebensgroß dargestellt wurde, plötzlich wieder auf Menschengröße zusammengeschrumpft ist. Einer der so unfehlbar schien ist gefallen. Und da kommt das Widerliche im Menschen heraus. Die Tendenz sich am Unglück des anderen zu weiden, ja regelrecht sich darin zu suhlen und jeden Moment auszukosten. Das spielt die unschöne Emotion Neid eine große Rolle – vorher war er unangreifbar, das macht Leute neidisch, jetzt ist er Freiwild und alle Dämme brechen. Leute die noch nie eine akademische Arbeit geschrieben habe werden plötzlich zu Experten was die Zitationsregeln betrifft, Leute die eine solche geschrieben haben und vielleicht selbst an ihre eigenen „Schummeleien“ erinnert werden springen aus den Büschen hervor und laden ihr schlechtes Gewissen auf den Mann ab. Es gibt Tierarten die ihr eigenes Alphatier zerreißen, wenn es Schwäche zeigt und in der Rangordnung absteigt. Kein schönes Bild im Spiegel, oder?

Zusammenfassend: Hat er einen Fehler gemacht? Ja. Ist eine Reaktion notwendig? Ja. Ist das Ganze noch verhältnismäßig? Ganz sicher nicht.

Wie so oft in diesen Tagen saß ich vor Twitter und hing meinen eigenen Gedanken nach als mich eine Meldung in meiner Timeline überraschend ins Hier und Jetzt zurück holte, einem Anker gleich, der ein treibendes Schiff an Ort und Stelle hält. Ein treibendes Schiff. Ich finde dieses Bild gut, denn so bin ich wenn ich nicht gerade schreibe oder über das Schreiben nachdenke. Ziellos irren meine Gedanken umher, mal unten, mal oben und die Zeit zerrinnt in meinen Hirnwindungen. Der Willkür der Winde des Zufalls ausgeliefert. Wahrscheinlich bin ich in diesem Zustand zu wenig zu gebrauchen, erst wenn eine neue Idee sich formt bekomme ich Fokus, ein Ziel und die Zeit beginnt wieder für mich zu arbeiten statt scheibchenweise mein Leben zu zersäbeln.

Ich las die Zeile: „Die schönsten Geschichten enden nie“ und mit einem Mal war ich wieder am einzigen Ort an dem ich wirklich zu Hause bin. Wir Menschen sind wahrscheinlich die einzigen Lebewesen, die sich ihrer eigenen Endlichkeit bewusst sind, sobald wir ein gewisses Alter erreicht haben (irgendwann zwische 6 und 12) beginnt das Wissen hochzutreiben, dass unser Existenz nicht von ewiger Dauer ist, wir erkennen, dass die Toten nicht zurückkommen und wir irgendwann auch zu dieser stetig wachsenden Armee gehören werden. Unser Leben, wenn man es als Geschichte versteht, hat einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende. Dass dieses kein Happy-End sein wird ist uns klar.  Leonard Cohen hat mal in einem Interview gesagt, dass er sich eigentlich nicht vor dem Tod fürchtet, wovor er Angst hat sind die Umstände unter denen es passieren wird und er hoffe, dass diese nicht allzu schlimm sein werden. Aber der Tod ist immer eine Tragödie, etwas geht unwiederbringlich verloren, eine Geschichte findet ein Ende die so nie wieder erzählt werden wird. Ist da der Wunsch nach einer „unendlichen“ Geschichte nicht verständlich?

Die Sehnsucht nach Unendlichkeit ist in uns tief verwurzelt und ich selbst bin, was diese Frage betrifft, zwiegespalten. Es ist momentan irgendwie „in“ auf die Frage „Willst du ewig leben?“ mit „nein“ zu antworten, das hat etwas Mutiges, Echtes, Geerdetes, es ist die Antwort eines Actionhelden der zu viel gesehen hat, zu viel erlebt hat, als dass er diese Existenz ewig erdulden könnte aber ich glaube doch, dass dieser Wunsch nah Leben in jeden Menschen vorhanden ist. Man sieht es deutlich am Ende, wie sich fast jeder mit Klauen und Zähnen an das bisschen Leben klammert das er oder sie noch hat, plötzlich sind all die Sprüche vergessen. Sicher, manche gehen in Würde, erhobenen Hauptes aber ich glaube nicht, dass das die Mehrheit ist.

In Geschichten umgehen wir dieses Problem oft, wir enden mit „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann  Leben sie noch heute“. Die Option der Ewigkeit bleibt offen, denn es sagt ja niemand, dass sie gestorben sind. Viele Eltern glaube ja, dass die geschichte so Enden um die Kidner zu beruhigen, aber eigentlich sind es die Erwachsenen selbst, die beruhigt werden müssen. Die Helden sind meistens jung, in ihrer Blütezeit. Wir lieben Bücher mit Helden die nicht altern, seien sie nun Magier, Alchemisten, Vampire oder durch Nanotechnologie aufgewertete, smarte Cyberagenten der Zukunft bzw. irgendwelche Auserwählte. Ihnen allen ist gemein, dass sie die Angst vor dem Tod überwunden haben, sie leben nach ihren eigenen Regeln und lassen sich von der Biologie keine Deadline setzen.  Geschichten verraten viel über eine Kultur, über die Wünsche, Träume und Hoffnungen, egal wie gut sie sonst verborgen werden.  Es sagt viel über uns, dass es kaum Geschichten über Menschen ab dem 6. Lebensjahrzehnt gibt, es ist so als würden wir versuchen diesen Abschnitt auszublenden. Aus dem Leben geht das nicht, wir alle kommen da hin – wenn wir Glück haben, denn wie sagt man? Es gibt nur eine Sache die schlimmer ist als alt zu werden – und das ist nicht alt zu werden.

Einerseits wünsche ich mir diese Ewigkeit so sehr wie jeder andere Mensch. Der Gedanke irgendwann einmal nicht mehr dabei zu sein, nicht sehen zu können wie die Menschheit sich entfaltet, entwickelt und ihre bisherige eingeschränkte Existenz für neue, grünere Weiden hinter sich lässt, das ist bitter, es schmeckt wie Galle in meinem Mund.

Andererseits weiß ich, dass das Leben an sich durch seine Endlichkeit einen Kontext bekommt. Ich merke es an mir selbst, wie ich zu treiben beginne wenn es kein klar definiertes Ziel gibt, wie mir die Dinge entgleiten und ich die Kontrolle verliere, meine Gedanken sich ausdehnen, sich im Raum verteilen bis sie so dünn und durchsichtig geworden sind, dass sie praktisch nicht mehr existieren. Es sind die Ziele, die Deadlines, die mich wieder auf Kurs bringen. Es ist paradox, ich weiß, aber umso eingeengter ich durch die Zeit bin umso kreativer werde ich. Gib mir einen ganzen Abend an dem ich nichts anderes tun muss als für mich selbst zu schreiben und ich bekomme fast nichts hin, gib‘ mir aber dreißig Minuten zwischen zwei Konferenzterminen und ich schreibe Sachen die mich selbst verblüffen. Das Leben selbst eingefasst durch zwei unvermeidliche Enden – die Geburt und den Tod. Die Zeit dazwischen können wir füllen, aber sie wäre vielleicht bedeutungslos, reines sich-treiben-lassen, wenn nicht auch ein Ende zumindest irgendwo am Rande unserer Wahrnehmung spürbar wäre. Vielleicht ist das Wissen um die eigene Sterblichkeit am Ende gar kein Fluch sondern ein Geschenk, der Auslöser für das was wir Menschwerdung nennen. Ein existiert in einem permanenten Zustand des „Jetzt“, der Bewußtseinsstrom wird linear abgearbeitet vom Anfang bis zum Ende. Die logische Folge ist eine instinkthafte Existenz , abstrakte Ängste vor dem Tod haben da keinen Platz, aber auch nicht das schmieden von komplexen Plänen, das Schätzen der Dinge die sind und noch kommen werden. Das Wissen um das Ende, egal ob es eine Geschichte oder das Leben ist, gibt uns eine Perspektive, setzt uns einen Horizont an dem wir uns orientieren können.

Zu sagen „Die schönsten Geschichten enden nie“ hieße meiner Meinung nach genau diese Tatsache zu übersehen. Eine gute Geschichte fesselt uns, zieht uns hinein und trägt uns an ferne Orte. Wir folgend en Helden auf ihren Pfaden, liebe und leiden mit ihnen. Aber eigentlich ist es immer das Ende auf das wir hoffen, um das wir bangen. Wir fiebern der letzten Seite entgegen weil wir wissen wollen wie die Geschichte zu einem Abschluss kommt. Ich hatte schon Bücher in der Hand von denen ich mir gewünscht habe sie würden nie Ende aber irgendwie war es doch immer der Abschluss auf den ich hin gelesen habe, denn eine Geschichte die wirklich nie endet muss zwangsläufig langweilig werden. Es gab und gibt Autoren die das immer mal wieder versucht haben – das Schreiben einer wahrlich epischen Saga. Habt ihr schon mal sowas gelesen? Ab einem gewisse Punkt wird es zu viel, immer wieder neue Wendungen, die Geschichte beginnt dahinzuplätschern und eigentlich möchte man nur noch wissen wie es für die Protagonisten endet, man möchte sie aus dem Leid herausbringen, an einen schöneren Ort. Ich glaube es ist unmöglich eine „unendliche“ Geschichte zu schreiben die nicht irgednwann stagniert und zur bloßen Fortführung der Existenz der Protagonisten verkommt. Und wieder komme ich zu Star Wars, diesmal die Bücher. Nach dem letzten Film wurden ja die Abenteuer der Helden weitergeschrieben, von verschiedenen Autoren. Mittlerweile habe ich ein Regal voll nur mit solchen Büchern und ein Ende ist nicht in Sicht. Es ist furchtbar langweilig. Dieselben Katastrophen wiederholen sich immer und immer wieder, die Helden von einst sind alt und in einem schrecklichen Zyklus gefangen, ein nie enden wollendes Rad welches mit jeder neuen Romanreihe von vorne beginnt und nie zu einem wirklichen Ende kommt. So sehr ich Star Wars schätze, vielleicht hätte man die Geschichte dort enden lassen solchen wo George Lucas es für richtig hielt, am Feuer auf Endor, mit den geistgestalten von Obi-Wan, Yoda und Anakin.

Das Leben, wie ein Buch, wie eine Kurzgeschichte, braucht einen klaren Anfang und ein klares Ende um Bedeutung zu haben denn erst das Ende gibt dem Anfang Bedeutung. Jede Geschichte die den Leser befriedigen soll muss ein Ende haben, einen Punkt an dem die Schlachten geschlagen, die herzen gewonnen und alle Tränen geweint sind. Das Ende gibt Frieden, die Zeit des Nachdenkens kann beginnen.

Heißt das, dass ich kein Problem mit meinem Ende habe? Nein verdammt, das ganz bestimmt nicht. Ewiges Leben klingt zu verlockend. Aber das kann es nur, weil ich ein Mensch bin und die Endlichkeit gekostet habe, jeden Tag, mein ganzes bisheriges Leben lang. Der Tod ist ein ständiger Begleiter, das Ende immer irgendwo i sicher aber gerade dadurch kann ich mir diese Gedanken machen. Gäbe es diese letzte Grenze nicht wäre wahrscheinlich kein denkendes „Ich“ hier. Mein Geist würde treiben, ohne Anker.

Wie sieht es mit der Zukunft aus? Mit der Nanotechnologie, Cyberware, virtuelles Leben, all diese Schlagworte die vielleicht den Tod eines Tages besiegen können. Unser Körper ist im Grunde eine Maschine, dass muss jedem klar sein, der sich mal mit Zellbiologie beschäftigt hat. Es geht um Aufbau, Abbau und Energiegewinnung, kleine Fabriken in unseren Zellen sorgen dafür, dass wir Leben. Diese müssen sich beeinflussen lassen und in dem Moment in dem wir das können wird der Tod als letzte Grenze fallen. Bedeutet das, dass der Mensch dann in seiner jetzigen Form aufhört zu existieren? Bedeutet dieses Ende der Endlichkeit auch das Ende der so dringend notwenigen Rahmenhandlung des Lebens? Das glaube ich nicht. Solange wir körperliche Wesen sind wird das Ende immer eine Möglichkeit sein. Egal wie gut die Medizin wird, durch Unfälle kann Leben ausgelöscht werden, unwiederbringlich. Das Ende wird also nicht ganz ausgelöscht, nur verschoben, nicht unvermeidlich, nur etwas unwahrscheinlicher. Der Gedanke daran wird bleiben und das reicht völlig aus um uns den Horizont zu geben den wir brauchen. Habt also keine Angst vor neuer Technologie, sie wird uns kulturell, aber nicht grundlegend transformieren

Sollten wir jemals unsere Körper verlassen wird das natürlich etwas völlig anderes. Dann wird der Mensch  vielleicht wirklich zu treibenden Energiewolken, gefangen auf dem Ozean der Zeit, unfähig sich auf etwas zu konzentrieren. Wer weiß, es könnte unser Schicksal als Rasse sein irgendwann in einen ewigen Traum gehüllt in der Photosphäre unserer Sonne zu wehen. Man weiß es nicht. Ich wie es nicht.

 

Wieder einer meiner Beiträge zum Thema „@GoShoo erklärt die Welt und liegt dabei völlig falsch“. Wie immer komme ich dabei vom Hundertsten ins Tausendste und springe quer über verschiedene Wissensgebiete. Wer an doe Absolutheit von irgendwas glaubt sollte jetzt besser dieses Fenster schließen und ein beruhigendes Buch seiner Wahl zur Hand nehmen. Alle anderen eigentlich auch. Allen die noch da sind wünsche ich viel Vernügen und sage wie immer: Kommentare erwünscht!

 

Das Problem an Kultur ist, dass die Person die bis über beide Ohren drinnen steckt sich so gut wie gar nicht vorstellen kann, dass es auch andere Lösungen und Ansätze geben könnte als jene mit der sie aufgewachsen ist, der Blick dafür, dass so simple Dinge wie Wahrnehmung und Organisation der Umwelt eigentlich Konstrukte sind, die kulturell ausgehandelt und geschaffen werden, geht verloren oder wird gar nicht erst entwickelt.

Wir, also ich und die meisten Leser dieser Zeilen wohl auch, stammen aus einer Kultur welche die Dualität quasi zum höchsten Prinzip erhoben hat. Wir sehen die Pole überall, an unserem eigenen Planeten mit Nord- und Südpol, in unseren Geschlechtern, in den vorherrschenden Moralvorstellung, in der Rechtsprechung, dieses A gegen B, Schwarz gegen Weiß, Gut gegen Böse, Feuer gegen Wasser, Papier gegen Stein ist ein konstantes Thema. Die dominante Religion in diesen bereiten, das Christentum in all seinen Spielarten, legt diese Art der Weltsicht ja wunderbar vor, da oben ist der gütige Gott, da unten der zürnende Teufel, Himmel und Hölle, zwei gegensätzliche Pole die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dabei hat das Christentum einen gewissen Erklärungsnotstand, denn die Dualität von Gott und Teufel, Gut und Böse hat einen fatalen Haken – ein Pol sollte eigentlich übermächtig sein, nämlich der an dem Gott steht. Woher kommt also all das Böse? Die Kirchenväter haben über die Jahrhunderte hinweg das gemacht, was man in der Softwareindustrie als „Patching“ bezeichnen würde, sie haben kleine Erklärungshappen nachgereicht um die Dualität irgendwie zu rechtfertigen ohne Gott von seinem himmlischen Thron zu stoßen. Das Judentum brauchte das nie, einfach weil der jüdische Gott Jahwe beide Pole in sich vereinigt, rachsüchtiger Gott, guter Gott, zornig und Eifersucht, alles in einem Schöpfergott vereinigt, erst das Christentum mit der immer  stärker werdenden Betonung eines „guten“ Gottes brauchte einen immer stärker werdenden Widersache, einfach aus einer Erklärungsnot heraus.  Aber versuch das mal einem Christen zu erklären, der wird sich extrem schwer tun über einen  Gott auch nur nachzudenken, der alle Pole in sich vereinigt. Liegt möglicherweise auch daran, dass ein solcher Gott „menschlicher“ wird in seinen Motiven und Handlungen – und da sind wir dann schon gefährlich nahe an der Entlarvung dessen was alle Götter in Wirklichkeit sind.

Wir Menschen sind aber von Natur aus keine Wesen die in einer reinen Dualität existieren können. Jeder Mann hat weibliche Anteile, jede Frau männliche. Wer verschiedene, mit sich in Konflikt stehende Emotionen nicht integrieren kann, also sie als Teil seiner selbst und eben nicht als Bedrohung annehmen kann wird psychisch krank. Wem dies beim Bild, das er von anderen hat, ebenfalls nicht geling wird auch krank. Es entwickeln sich dann interessante Störungen in denen die extreme Idealisierung des anderen schnell in eine ebenso extreme Abwertung überschlägt, eben weil es nicht mehr möglich ist das Gegenüber als komplexe, integrierte Persönlichkeit mit Anteilen aller emotionaler Zustände zu sehen, es geht nur noch entweder völlig Gut oder abgrundtief Schlecht. Gott und er Teufel sind zwei solche Extreme, zumindest im Christentum.

Beinahe alle Glaubenssysteme die vorwiegend mit irgendeiner Art von Innenschau befasst sind werfen diese Dualität an einem bestimmten Punkt ab und beginnen die Integration von allem anzustreben. Sollte aus den eben genannten Gründe klar sein, denn ins uns existiert diese Dualität nicht. Wenn ich mich in diesem speziellen Augenblick betrachte, dann geht es mir aus bestimmten Gründen ziemlich schlecht aber gleichzeitig gibt es genug über das ich froh bin und was mich eigentlich auch recht zufrieden macht. Ich glaube es ist wichtig das zu erkennen und das persönliche Weltbild anzupassen.

Natürlich sind Dualitäten einfach, sie geben eine gut verständliche Struktur für die Welt vor. Wer in den 80er aufgewachsen ist wird sich erinnern wie beruhigend es war zu wissen wer die Guten und wer die bösen Jungs sind, bei wem man ohne schlechtes Gewissen jubeln durfte wenn er atomisiert wurde und bei wem bittere Rache zu schwören war. Außerdem sind diese Gegensätze als Lehrstücke immer recht amüsant und hilfreich. In diesem Zusammenhang spreche ich immer gerne von den Jedi-Rittern und Obi-Wans Ausspruch in Episode III, dass nur ein Sith nichts als Absolute kennt. Krieg oder Frieden, meine Seite oder deine Seite, Liebe oder Hass. So einfach ist das nicht und so einfach sollte es auch nicht sein. Wer in Absoluten denkt glaubt die einzige Wahrheit zu besitzen und hat damit die oberste moralische Autorität, ja sogar die Verpflichtung, alles zu unternehmen, um diese Sicht zu verbreiten.  Wohin das führt sehen wir jeden Tag. Krieg, Hungernöte, Korruption, Zerstörung der Umwelt, menschliches und tierisches Leid an allen Ecken und Enden. Das ist vielleicht Zoroasters Erbe, der die Dualität von Gut und Böse in die heute bekannten Religionen brachte (wenn sich etwas ziemlich gut nachverfolgen lässt, dann welche Religion von welcher älteren beeinflusst wurde) – aber realistisch betrachtet kommt es wohl einfach nur dem menschlichen Bedürfnis nach einfachen Erklärungen entgegen.

Gibt es einen Ausweg? Ich weiß es nicht, zumindest nicht was uns betrifft. Dass andere Kulturen mit der Integration der Pole besser umgehen konnten ist bekannt, vor allem sehr naturnahe Gruppen haben mit dem ständigen Wechsel von Jäger-Gejagter und der Natur sowohl als Ernährerin als auch als größte Gefahr für Leib und Leben, hervorragende Beispiel dafür, wie eine Sache beide Extreme in sich vereinigen kann. Wir hingegen leben vorwiegend in einer de-naturierten Welt, haben sie wiederum in „gute“ Natur (also jene im Park, wohlgeformt, kontrolliert, gezähmt) und „böse“ Natur (wild, gefährlich, mit Warnschildern versehen, da geht man nur mit der nötigen Schutzausrüstung hin) aufgeteilt. So spiegeln wir quasi unsere innere Vorstellung davon, wie die Welt sein sollte nach außen ordnen sie um. Ein Beispielloses Unterfangen und erschreckend effektiv. Aber eigentlich fehlen uns auch die Vorbilder, jene die uns führen auf den Pfaden zwischen den Polen und so sitzen wir wie verängstigte Kinder deren Eltern das Haus verlassen haben und einfach nie zurückgekommen sind auf der Seite von Schwarz oder Weiß auf die uns das Leben geworfen hat. Fernsehen und Bücher können das Trauma mildern aber gut wird es deshalb noch lange nicht.

Es war immer schon die Funktion des Schamanen zwischen den Polen zu wandeln denn, und da dürfen wir uns auch nichts vormachen, dieses Vorhaben ist auch gefährlich. Wer zu viel Chaotisches in sich zu integrieren sucht kann verloren gehen. Die oberste Funktion des Schamanen war es nun diese Pfade zu wandeln, die letzte Dualität, Diesseits und Welt der Geister/Ahnen/Totemtiere, zu überwinden. Schamanen haben Macht, das wird jeder bestätigen der schon einmal neben einem dieser imposanten Menschen gestanden hat. Jener der am Rande der bekannten Welt operiert muss hart und stark werden. Wir scheuen diesen Weg, diese Grenzlinien, den Waldrand immer mehr, weshalb wir auch keine Schamanen mehr haben, ihnen fehlt der Nährboden, die Tradition. Wie viele große spirituelle Führer haben wir in den letzten 60 Jahren mit Psychopharmaka ruhig gestellt? Noch gibt es Künstler die so etwas wie eine Erinnerung an jene mit mächtigen Zaubern gegürteten Geistführer längst vergangener Tage sind. Manche davon, etwas Robert Frost oder Sylvia Plath vermögen ganze Generationen zu führen aber ich habe das Gefühl auch von diesen gibt es mit jedem Jahrzehnt weniger. Vielleicht sollen wir mal wieder zu den Innuits reisen, zu jenen die noch fern der Zivilisation leben, dort wo die Widersprüche der Natur aufeinanderprallen, wo die bizarre Schönheit der Eislandschaft mit der Grausamkeit des Jagens und des Tötens noch eins sind, Leben und Tod Hand in Hand gehen und nicht eines zum Jugendwahn hochstilisiert und das andere hinter dicken Mauern versteckt wird. Das ist ja auch so eine Dualität – Leben und Tod.  Aber dazu vielleicht ein andermal mehr.

Mut oder Kein Berg ist unbezwingbar

Lange Zeit galt es als unmöglich die Erde zu umrunden weil man glaubte Wasserfälle würden die Scheibe begrenzen und jeder der ihnen zu nahe käme würde hinunterfallen. Bis mutige Menschen es mal probierten (aus welchen Gründen auch immer) und endgültig bewiesen, dass es sehr wohl geht. Lange Zeit hielt man es für unmöglich, dass ein Mensch aus großer Höhe springt und das, selbst mit Fallschirm überlebt, man dachte der Fall alleine wäre schon tödlich. Heute wissen wir, dass man nur den Aufprall fürchten muss, das Fallen an sich ist schon ok. Warum wissen wir das? Na, weil mutige Menschen es probiert haben. Lange Zeit dachte man das Besteigen von Bergen über eine bestimmte Höhe ohne technische Hilfsmittel nicht möglich sei.  Dann hat man es versucht und es ging. Nicht leicht aber es war möglich.

Dennoch ist die Angst das scheinbar Unmögliche zu wagen in allen von uns riesig groß. Die Frage ist wie man damit umgeht. Ein Bergsteiger der keine gehörige Portion Respekt vor der Felswand hat  ist dumm und wahrscheinlich bald tot. Aber der Unterschied ist, dass er seine Angst bezwingt, sie in etwas umwandelt womit er arbeiten kann, eben diesen Respekt vor der Naturgewalt Berg, er weiß, dass jeder Handgriff sitzen muss, dass wenn er die „unmögliche“ Wand bezwingen will, es keine zweiten Chancen gibt. Und dann lässt er sich vollkommen darauf ein, keine Zweifel, kein Blick zurück.

Wenn jemand zum mir sagt, dass etwas unmöglich sei, dann versuche ich immer zu erspüren wie eswohl gemeint ist denn oft steckt dahinter nur ein verschleiertes: „Ich habe es noch nie probiert, kann es mir nicht vorstellen und daher muss es unmöglich sein“. Das ist die Unmöglichkeit aus Tradition heraus und bei uns Menschen äußerst beliebt. Wenn irgendwer mit einem kleinen Fitzelchen Respekt in einem Fachgebiet etwas für unmöglich erklärt bildet sich ganz sicher eine Schule heraus die diese Unmöglichkeit stolz in die Zukunft trägt.  Es gibt noch die Unmöglichkeit die aus schlechten Erfahrungen erwächst, die erlernte Unmöglichkeit. Wenn jeder bisherige Möchtegern-Bezwinger der Bergwand am Fuße derselben am Ende des Tages tot aufgefunden wird, dann kristallisiert sich bald eine Unmöglichkeit heraus, die Wand gilt als unbezwingbar. So lange bis es jemand versucht und damit Erfolg hat. Denn keine Wand ist unbezwingbar, egal wie steil, rau, verwittert, kalt, windig oder hoch. Irgendwann kommt jemand der die richtige Mischung aus Respekt, Mut, Glück und Können mit sich bringt um der Wand den Mythos zu nehmen.

Kein Berg ist unbezwingbar, kein Traum unträumbar, kein Hindernis unüberwindbar, keine Entfernung zu groß und keine Angst unbesiegbar. Wie oft hat man mir gesagt, wie oft habe ich gelesen, dass man heute als Schriftsteller fast keine Chance habe meine Sachen zu veröffentlichen, der Markt ist übersättigt, die Verlage nicht mehr mutig genug … dennoch schreibe ich und ich halte es weder für dumm noch für Zeitverschwendung. Aufgeben ist keine Option. Auch dieser berg kann bezwungen werden. Aber ich muss mich trauen. Jeden Tag die Angst überwinden und mehr Seiten schreiben.  Verloren habe ich erst wenn ich am Abend lieber am TV sitze als mich hinzusetzen und die Worte fließen zu lassen. Manche würden sage es wäre klüger. Ich sage es wäre eine Verbeugung vor der Angst. Niemals.

Wir Menschen, als Spezies, haben es immer wieder geschafft die Unmöglichkeit aus Tradition und die erlernte Unmöglichkeit zu überwinden, gegen alle Wiederstände. Hätte man sich immer an den Rat der Weisen gehalten (denn weise heißt auch die Unmöglichkeiten zu kennen weil man genug davon selber erfahren hat) würde ich nicht hier sitzen und Text in eine der komplexesten Maschinen eintippen die je von Menschen gebaut wurde, sondern wäre wahrscheinlich mit Ugh und Mugh draußen auf der Suche nach einem Blitz der ein kleines Feuer auslöst damit wir es in unsere Höhle zurückbringen können – denn  Feuer aus Steinen zu schlagen ist doch wirklich sowas von unmöglich. Obwohl, realistisch betrachtet – ich war immer ein kränkliches Kind, ich hätte wohl in einer Welt ohne die Fortschritte der Moderne, die von mutigen Menschen getragen wurden, nie das Erwachsenenalter erreicht.

Mut und Wagnis beginnen auf einer persönlichen Ebene. Ämter, Verwaltungsapparate, sie entwickeln nie Mut, das Komitee ist per Definition feige. Tut mir leid das jetzt so direkt zu sagen aber es gibt unzählige Beispiele in denen solche großen Organe versuchten den Mut, der seinen Ursprung in Einzelpersonen hat, zu unterdrücken. Sie wollen den sicheren Weg gehen, den bekannten. Alles andere bringt den Ablauf durcheinander und, sehr schlimm, es gibt keine Formblätter für den Mut einzelner. Es sind die kleinen mutigen Entscheidungen die wir jeden Tag treffen, die Werte und Personen zu denen wir stehen, die uns als Ganzes nach vorne bringen denn eine Reihe solcher Entscheidungen aneinander nennt man dann auf lange Sicht „Leben“ und aus vielen Leben wird Kultur, eine Kultur von der neue Leben dann auch geprägt werden.

Ich denke also man sollte sich nicht nach Gründen umsehen warum diese Felswand nicht besteigbar ist, warum der Fall uns umbringen könnte oder ob diese Entscheidung uns verletzlich macht. Die Frage sollte sein, wie wir es schaffen können das Unmögliche zu tun, über die Grenzen hinauszugehen, wie wir zu dem Ideal werden können, das wir normalerweise nur aus Büchern kennen – und wie gesagt, es müssen gar nicht immer die großen Entscheidungen von globaler Bedeutung sein. Schon sich zu einer Liebe zu bekennen, auch wenn uns das verletzlich macht und vielleicht Angst einjagt,  kann unser Leben unendlich bereichern und uns stark machen, mutig machen. Denn eines ist auch klar – Mut wird durch mehr Mut belohnt. Wer einmal seinen Fuß auf diesen Weg gesetzt hat will nicht mehr auf die vorgefertigte Rolltreppe zurück die unser Leben auch sein kann, man beginnt die Freiheit die der Mut bietet zu schätzen. Mut kann dazu führen verletzt zu werden, man stellt sich schließlich den Gewalten, den Gefühlen den Gezeiten aber wer es wagt hat eine Chance, was auf jeden Fall besser ist als am Fuß des Berges alt zu werden und sich am Ende zu verfluchen weil man es nicht gewagt hat als noch Zeit war.

Es ist eine alte Wahrheit:

Besser das Risiko eingehen, das Schöne festhalten, und es vielleicht irgendwann, möglicherweise wieder verlieren, als es aus Angst nie erlebt zu haben.

Deshalb wünsche ich euch allen, dass ihr den Mut habt zu den Dingen zu stehen die ihr für richtig haltet, auch wenn alle um euch herum sagen es ist falsch. Ich wünsche euch die Neugierde zu erfahren was wohl hinter dem Horizont liegen mag und den Mut heute noch loszumarschieren, den mutiger als heute werdet ihr nicht mehr, nicht ohne das Risiko einzugehen. Und ich wünsche euch den Mut zu eurer Liebe zu stehen, egal wie die aussieht, Mann oder Frau, jung oder alt – unabhängig davon ob es euch oder dem Rest der Welt verrückt und chaotisch erscheint. Die Welt endet nur an einem Ort und der ist dort, wo eure Vorstellungskraft endet – sorgt dafür dass dieser Punkt weit in der Ferne liegt.